Leistungsnachweis im Fach „Virtual Communities“ (BMG)

bei Prof. Dr. Hans Dotzler / Florian Fell


19.06.2000



© Marius Müller

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© Oliver Maurath

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Grobkonzept für ein Web-Portal, das Benutzerverhalten anhand der konkreten Zugriffe auf Inhalte grafisch dynamisch auf Langzeit wiederspiegelt





Hintergrund


Grundliegender Gedanke dieses Grobkonzeptes ist die Tatsache, dass Internetseiten, egal ob einer Virtuellen Community angehörend oder nicht, grafisch in unzureichendem Maße die konkrete Benutzung verschiedener Besucher (z.B. Klicken von Buttons etc.) wiederspiegelt.

Dabei stellt sich die Frage, inwiefern es der Besucher als natürlich empfindet, Grafiken (z.B. Buttons) auf einer Internetseite wiederzufinden, die auch nach tausenden von Zugriffen "so neu wie am ersten Besuchstag" aussehen. Man hat sich inzwischen daran gewöhnt, dass On-mouse-over/On-Klick-Effekte die einzigen etablierten Modifikationensformen sind. Die temporären grafischen Zustände gehen meist nicht über den Zweck hinaus, die Seitennavigation visuell zu verdeutlichen und damit die Benutzerführung zu vereinfachen.


Ziel ist es, neue Wege in Layout und Grafik zu finden, die dem Benutzer das Gefühl gibt eine frequentierte Seite zu besuchen. Dies bedeutet, Inhalte nicht nur aufzurufen, sondern zu benutzen / abzunutzen und dabei seine Arbeits-Spuren für nachfolgende Besucher zu hinterlassen.

Somit kann auf die Verwendung eines Web-Counters als veraltetes, unglaubwürdiges Tool zum mathematischen Beweis von Zugriffsverkehr, verzichtet werden.



Real-Life Metapher: Die Bibliothek


Zum besseren Verständnis von der automatischen, dynamischen Visualisierung von häufigen Zugriffen auf Inhalte soll zunächst die "Fahrstuhl-Metapher" herangezogen werden:

In einer mehrstöckigen, etwas älteren Bibliothek kann man im Fahrstuhl an der Abnutzung der Fahrstuhl-Knöpfe sehen, welcher Knopf am öftesten gedrückt wurde bzw. sogar an welcher Stelle. Falls alle Etagen gleichmäßig aufgebaut sind und grundsätzlich besucht werden sollte es so sein, dass der Erdgeschoss-Knopf am meisten gedrückt bzw. abgenutzt wird, da er bei fast allen Abwärtsfahrten gedrückt wird. Weichen Beoachtungen von dieser Tatsache ab, so lassen sich neue Schlußfolgerungen ziehen (z.B. Knopf der vierten Etage nach 10 Jahren so gut wie neu, da diese Etage weniger besucht / gewählt wird ...). Insgesamt ist in jedem Fall für alle regelmäßigen Besucher klar, dass der Fahrstuhl in unterschiedlicher Art und Weise be- und abgenutzt wird und somit die Bibliothek an sich besucht wird, ohne daß man alle Besucher gleichzeitig sieht.

Mit einer etwas anderen Metapher kann verdeutlicht werden, in welchem Fall Inhalte total "verstauben".

Bücher, die häufiger gelesen werden sind weniger verstaubt. Außerdem kann man in ihnen indirekt ablesen, wie oft sie bereits benutzt worden sind: man vergleicht, wann die Bibliothek das Buch gekauft hat und betrachtet sämtliche Bleistiftnotizen, Eselsohren und sonstigen "Spuren" der Benutzer. Dieser merkt schnell, ob andere sich schon seit Benutzer-Generationen mit den Inhalten beschäftigen und ob das Buch bis zu einem gewissen Grad überhaupt jemals "gefragt" war. Kann ein 30 Jahre altes Buch, dass komplett eingestaubt im Regal steht, jedoch ansonsten noch "wie neu" aussieht in einer vielbesuchten Bibliothek, in der viele Bücher entliehen werden, überhaupt gut sein? Oder steht es nur zu weit oben im Regal? Muss sich eine Bibliothek, in der alle Bücher "verstauben" nicht u.a. Gedanken über ihr Angebot machen?


Diese und andere Betrachtungen aus dem "wirklichen", nicht-virtuellen Leben zeigt, dass der Umgang mit Inhalt und seinen Trägern (Buch, Bibliothek) bzw. der Zugang zum Inhalt (Fahrstuhl) natürlicherweise seine Spuren hinterläßt.


Ist es unter dieser Betrachtungsweise nicht merkwürdig, wie leblos und trostlos der Umgang mit digitalen Inhalten mangels visueller Aufbereitung ist? Dennoch bedient man sich der Alltagssprache, um Arbeiten im und mit Inhalten im Internet zu beschreiben: eine Seite hat viele Benutzerzugriffe, ein Button wird häufig gedrückt, man blättert im Angebot, es gibt Kataloge, man betritt die Seite, eine Seite ist jedoch total veraltet...



bisherige Ansätze


Die Idee, Besucher auf den "Erfolg" einer Seite aufmerksam zu machen erfolgt auf konservativ gestalteten Web-Sites meist über einen Counter, der meist auf der Startseite zu sehen ist und die sog. Hits aufsummiert. Allerdings verliert das Zählsystem an Glaubwürdigkeit, wenn das Drücken der Kombination vor/zurück im Browser als neuer Hit verbucht wird bzw. "über Nacht" heimlich seitens der Programmierer am Zählwerk gedreht wird. Auf professionell konzipierten Seiten wird daher auf den Einsatz eines Counters verzichtet.

Auf privaten Web-Sites findet man häufig einen einfachen Trick, um hohes Besucheraufkommen vorzutäuschen. Nach der Eingabe der URL wird einige Sekunden (durch Zufallsgenerator modifiziert) eine Seite eingeblendet, auf der darauf hingewiesen wird, dass sich die Weiterleitung auf die Startseite Aufgrund der aktuellen hohen Zugriffrate verzögert.

Ein naiver "Surfer" kann schnell ein Opfer dieser Täuschung werden.


Es wird in absehbarer Zeit immer eine Restskepzis beim Besucher eines Web-Angebotes geben. Je transparenter und natürlicher die Zugriffsinformationen weitergegeben wird, desto höher könnte die Chance sein, ein positives Gefühl zu erzeugen.


Machbarkeit


Aus programmiertechnischer Sicht ist die Realisierung dynamischer, abnutzender Buttons durchaus möglich. Die wohl am weitesten verbreitete und unterstützte Skriptsprache Perl bietet die Möglichkeit, über entsprechende Module (z.B. „Image Magick“) Bits in GIF-Grafiken umzuschreiben.

So können (z.B. mit Hilfe von Perl) Buttons, die in einer Website zur Navigation integriert sind, mit einem Abnutzungseffekt versehen werden.


Es ist absehbar, das kommende Versionen von Java immer mehr Methoden auch zur Manipulation von Grafiken bereitstellen werden. Somit sollte das Unterfangen „dynamischer Buttons“ nicht mehr als sonderlich exotische Idee erscheinen.




Konkrete Umsetzungsmöglichkeiten


Prinzipiell ist es schon seit längerer Zeit möglich, Grafiken durch Programme (Java-Script, Java Applets) dynamisch und automatisch auszutauschen und Benutzerzugriffe an beliebigen Stellen zu messen.

Exemplarisch soll anhand einiger Beispiele gezeigt werden, wie die oben beschriebenen Ideen umgesetzt werden könnten.


Buttons


Um einen "Fahrstuhl"-Button (z.B. Navigationsbutton) in seinen Abnutzungsgraden zu simulieren müssen entweder viele Einzelgrafiken erstellt werden (und dann dynamisch ausgetauscht werden) oder ein Programm geschrieben werden, dass eine Ausgangsgrafik nach einem bestimmten Verfahren dynamisch modifiziert.

Nach einer bestimmten Zeit würden sich die Zugriffe in der Beschaffenheit der Buttons wiederspiegeln:




Tag 1 Tag 200 Tag 365 Tag 1000



Im Idealfall sollte der Button sich


- bei jedem Klick abnutzen

- an exakt der gedrückten Stelle abnutzen

- bei frequentiertem Klicken immer länger einrasten

- ohne einwirken der Benutzer vergilben

- optional könnte der Button auch kaputtgehen (evtl. durch Nachfolger

des Benutzers wieder zu reparieren)


Einsatzmöglichkeiten dieses versteckten Features sind z.B. Fun-Communities, bei denen die Inhalte weniger im Vordergrund stehen.



Inhalts-Seiten


Prinzipiell sollte man einer Seite ansehen, wie alt sie ist. Eine einfache Realisierung ist es, den Seitenhintergrund zeitorientiert vergilben zu lassen. Dazu sollte jeder Zeiteinheit ein bestimmter Farbwert zugeordnet werden:


Tag 1 Tag 200


Tag 600 Tag 1000



Überlegenswert wäre zudem eine Farbkodierung, mit deren Hilfe man die Tages/Wochenaktualität jedes Dokuments sofort sehen könnte. In einem zusätzlichen Modus könnte visualisiert werden, welche Dokumente man selbst das letzte mal oder überhaupt schon benutzt hat (Personalisierte Kontentseiten). Denkbar ist hierbei auch, Stellen im Text zu markieren / kommentieren und auf Wunsch die Markierungen und Kommentare anderer Besucher einzublenden, die wiederum per E-Mail

Kontaktiert werden könnten.



Oftmals ist es auch interessant, im Moment des Zugriffs zu sehen, welcher Besucher ebenfalls das Dokument einsieht. Hierzu könnte man beim Einloggen auf der Seite entscheiden, ob man unsichtbar oder öffentlich stöbern möchte. Falls man seine Identität preisgibt könnte man sich nicht nur themenspezifisch vernetzten, sondern sich per Chat sogar über ein und das selbe Dokument unterhalten.

Diese Situation käme in der realen Bibliothek nur dann vor, wenn man Zufällig im selben Moment nach dem gleichen Buch greift und ins Gespräch kommt. Hier stellt das Medium Internet einen klaren Vorteil dar.


Es stellt sich nun die Frage, ob der höhere Programmieraufwand bzw. Aufwand in der Erstellung der Grafiken den konkreten Nutzen rechtfertigt.

Ein konkretes Pilotprojekt könnte einen hilfreichen Beitrag zur Beantwortung beitragen.


Nutzen


Der Nutzen kann sicherlich nur bedingt allgemein herausgestellt werden, da er sehr vom Konzept der Web-Site bzw. des Zielpublikums abhängt. Der Hauptnutzen liegt sicherlich darin, dass sich ein Web-Portal über dieses besondere Feature von anderen Web-Sites abhebt und viele "Neugierige" anlockt. Obwohl man das Feature auch als reine "Spielerei" betrachten kann stellt es doch einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert nach dem Motto "2 in 1"dar: Buttons und Dokumente transportieren neben ihrer eigentlichen Funktion Botschaften und strahlen Lebendigkeit aus. Falls Besucher der Seiten, denen herkömmliche Darstellungsweisen lieber sind, auch die Option haben, in diesen Modus zu wechseln lassen sich keine wesentlichen Nachteile erkennen.

Jedoch ist klar, dass erstmalige Aufbau einer solchen Web-Site mit hohen Anfangskosten verbunden ist, sich jedoch im Laufe neuer Projekte minimieren (Gerüst / Programmierung kann wiederverwendet werden).


Ausblicke


Die technische Beschaffenheit des Internets und seinen Inhalten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass selbst die asynchrone Kommunikation, die beim gemeinsamen Zugriff auf Dokumente stattfindet

eine Kommunikation von Mensch zu Mensch ist und deshalb bis zu einem gewissen Grad lebensnahen Bedürfnissen und Erfahrungen entgegenkommen sollte. Ob dieses Konzept in der Umsetzung auch tatsächlich anklang findet kann sich nur in einem Pilotprojekt herausstellen.